8. Januar 2011

Side Quest Saturday - Die Frisur


Donnerstag

"Hallo, hier Sarah, ich möchte gerne zum färben vorbeikommen."
"Okay. Was möchtest du färben?"
"Meine Haare.", antwortete ich. Die Friseurin lachte.
"Nein, ich meine, willst du Strähnchen oder aufhellen, oder dunkler färben?"
"Dunkler."
"Ich kann dir Morgen einen Termin anbieten um 14.00 Uhr."
"Dann kann ich nicht. Ich kann nur Abends und zwar frühestens ab 18.00 Uhr."
"Am 28. Januar um 18:30 Uhr?"
"Wow, ähm, ja, na klar."

Freitag

"Gehst du nicht ran?", fragte mich Marco, nachdem ich mein Handy zwei Minuten lang klingeln liess. "Vielleicht.", antwortete ich. "Wann?", fragte Marco genervt, der damit beschäftigt war, Tonfehler aus einer frischproduzierten Werbung zu filtern. "Gleich.", sagte ich und liess das Telefon weiterklingeln. "Ich kenn die Nummer nicht.", fügte ich hinzu. "Geh ran, dann findest du heraus, wer es ist.", sagte Marco. "Das ist eigentlich eine ziemlich gute Idee.", gab ich zu und ging ran. "… "Hallo?", sagte ich auf die Art, auf die es eine junge attraktive Frau in einem Horrorfilm tun würde, kurz nachdem sie mysteriöse Geräusche aus ihrem übergoßen Haus vernahm und kurz bevor sie durch einen grausamen Gewaltakt aus dem Leben scheidet.
"Hallo, ist da Sarah?"
"Jap." 'Oh mein Gott! Die kennen meinen Namen!', dachte ich panisch.
"Hier ist Mirjam von Nerd-Haarschnitt-Hamburg*, es geht um deinen Termin am 28. Januar."
"Ahso!", rief ich laut. Und erleichtert. "Hör mal, heute ist etwas frei geworden um 18.30 Uhr. Möchtest du heute kommen?"
"Ja, sehr gern."
"Alles klar, dann bis später."

Obwohl ich mich seelisch darauf eingestellt hatte, erst in drei Wochen zum Friseur zu gehen, nahm ich den überraschenden Termin heute wahr. Ich war sogar etwas zu früh im Salon.

"Hallo Sarah", begrüsste mich Mirjam herzlich, als ich den Salon betrat. Ihre Haare waren heute lang, gerade geföhnt und kupferrot. "Ich würd gerne noch eine rauchen, willst du noch kurz in der Warteecke platz nehmen?"
"Na klar, wann soll ich denn sonst die Bunte oder die Glamour lesen?", fragte ich und zog meine Jacke aus. In der Warteecke entdeckte ich die neue "Auto Motor & Sport".
"Du liest das wirklich?", fragte Mirjam schockiert.
"Nur die redaktionellen Beiträge.", antwortete ich und legte die Zeitschrift beiseite. Ich setzte mich in einen der Stühle vor den Spiegel.
"Ich bring dir gleich die Farbkarte.", informierte mich Mirjam. Zurück kam sie mit einer überdimensionalen Art Hardcoverbuch, das aber nur aus drei Seiten bestand, die mit bunten Haarbüscheln bestückt waren. "Was hast du dir denn vorgestellt?", fragte mich Mirjam.
"Ich möchte gerne wieder rot."
"Welchen Ton denn?", fragte mich Mirjam. Die Frage verwirrte mich.
"…Rötlich?", antwortete ich. Mirjam lachte.
"Eher mit Gelbton, Braun, Kupfer, Erdbeer…?"
"Ähm, Kupfer!", sagte ich. Mirjam strahlte und strich ihre kuperroten Haare zurück. "Sehr gut." Sie zeigte mir zwei Strähnen die sehr nahe an das herankam, was ich mir vorstellte. "Willst du lieber das hellere oder das dunklere? Wir können es auch mischen."
"Ich kann mich nie entscheiden. Also beide."
"Du triffst Entscheidungen wie eine wahre Frau!", lachte Mirjam.
"Richtig…"
"Ich geh dann mal die Farbe mischen.", sagte sie und verliess mich wieder. Ich schlug die Zeitschrift auf, die ich mir vorhin geschnappt hatte. "Was zum-…", fragte ich mich, nachdem die ersten 15 Seiten nur aus Werbung bestanden und blätterte zum Umschlag zurück. "VOGUE", stand drauf. Ich warf die Zeitschrift theatralisch hinter mich.
"So, da bin ich wieder. Dann lass uns mal anfangen.", sagte Mirjam und begann die Farbe aufzutragen. Ich versuchte krampfhaft mit ihr Smalltalk zu machen. Sie fragte mich nach einer Weile was ich denn beruflich mache. Eine sehr unangenehme Frage, wenn man wie ein normaler Mensch wirken will.
"Tja… ähm… irgendwas… mit…" 'Sag nicht Nintendo', sagte mir mein Gewissen. 'Nimm einen allgemeineren weniger spezifischen Begriff' "Videospiele. Ich arbeite mit Videospielen…" 'Warum hast du nicht einfach Medien gesagt?! Oder TV, du hohle Nuss!', schrie mich mein Gewissen zusammen.
"Videospiele!", rief Mirjam entrüstet. "Aber du bist doch-… hübsch!" Damit hatte ich nicht gerechnet. "Öh, danke", murmelte ich leise. "Wo sind deine Pickel? Warum bist du nicht fett?", fragte Mirjam laut und lachte.
"Tja…", ich wusste nicht was ich sagen soll. "Ich mag Fast-Food…"
"Dann arbeitest du mit Simon?", fragte Mirjam. "Krätschmer?!", fragte ich verwirrt. "Ich weiß nicht wie er zum Nachnamen heisst, aber der eine ist Asiate und er ist der Andere."
"Öh Simon. Ja. Äh. Nein. Ich hab mal mit ihm gearbeitet.", sagte ich.
"Er ist ein Kunde von mir weißt du", erzählte Mirjam. "Am Anfang war er ganz schüchtern, aber als er etwas aufwärmte entwickelte er sich zur regelrechten Plaudertasche." 'Ja, ja, das ist Simon.', dachte ich sarkastisch und beglückwünschte mich zum erfolgreichen Smalltalk der letzten paar Minuten.
"So, Farbe ist aus. Ich lass die restlichen Haare hier dann einfach natur, die anderen fallen ja drüber.", sagte Mirjam. Ich drehte mich um und guckte sie verwirrt an. "Das war ein Scherz.", sagte sie. "Ich geh nochmal Farbe mischen." Erleichtert fiel ich zurück in meinen Sessel und versuchte nach der Vogue zu greifen, ohne mich zu bewegen. Plötzlich stand Mirjam wieder hinter mir.
"Komm mit, sofort.", forderte sie auf. So eine kurze Einwirkungszeit habe ich noch nie erlebt. "Ich hab die falsche Farbe aufgetragen."
"WAS?!", rief ich entsetzt. "Was für eine?!"
"Die Farbtuben im Regal waren vertauscht, wir müssen es sofort auswaschen, sonst werden deine Haare lila!"
"LILA?!", rief ich panisch. "Ich will keine lila Haare!"
"Das kriegen wir schon wieder hin…"

Eine gute Stunde später verliess ich die Exfriseurin meines Vertrauens, aber dennoch nach wie vor meine Friseurin. Mit einem 10 Euro Gutschein für die nächste Färbung in der Hand, einem Entschuldigungs-Pflegepacket und einem tollen neuen roten Haarschopf. Na, dieser Besuch hat sich doch mal gelohnt.


* Name von der Red. geändert.

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